Kapitel 4

Veränderte Prioritäten und Herausforderungen bei der Personalbeschaffung

Unsere Bewertung zeigte auch, dass Hersteller weiterhin mit einer schwierigen Personalbeschaffungssituation zu kämpfen haben. So sahen im Jahr 2022 55 % aller Befragten ihre Einstellungsbemühungen extrem oder stark beeinträchtigt, was einem Anstieg von 9 % im Vergleich zum Vorjahr entspricht.

Derweil stellen die Rekrutierung und Bindung von Fachpersonal die größte Herausforderung für Hersteller dar, wenn es darum geht, ihre Geschäftsziele in den nächsten 12 – 24 Monaten zu erreichen. Auf die Frage nach ihrer Agilität bei der Rekrutierung und Bindung von Fachpersonal gab nur ein Drittel (33 %) der Hersteller an, sehr oder extrem agil zu sein, während 67 % ihre Agilität im Bereich der Rekrutierung anzweifeln.

In einer Zeit, in der die jüngsten Zahlen des Office for National Statistics zeigen, dass in Großbritannien 91.000 Stellen im verarbeitenden Gewerbe unbesetzt sind, müssen die Anwerbung und Bindung von Mitarbeitern für diese Branche im Mittelpunkt stehen. In unseren Nachbefragungen wurde deutlich, dass die Herausforderung der Personalbeschaffung Hersteller aller Größenordnungen und in allen Branchen betrifft.

Dabei scheinen sich gewisse Probleme wie ein roter Faden durchzuziehen: Es wird nämlich nicht nur schwieriger, Arbeitskräfte zu finden, sondern auch die Prioritäten der Arbeitnehmer haben sich verändert. „Während der Pandemie erlebten wir, wie viele ausländische Staatsangehörige in ihre Heimatländer zurückkehrten. Zu dieser Zeit war das nichts Außergewöhnliches, aber das Problem ist jetzt, dass viele kein Visum erhalten, um nach Großbritannien zurückzukehren.“

GESCHÄFTSZIELE

Diese Problemzonen könnten laut der Hersteller ihre Geschäftsziele in den nächsten 12 – 24 Monaten am meisten gefährden:

„Dabei sind wir auf diese Arbeitskräfte angewiesen und können sie nur schwer ersetzen“, sagte der Vorstandsvorsitzende eines britischen Großmaschinenbauunternehmens. Für ihn sei es ein „unüberwindbares Hindernis“, sich die richtigen Talente zu sichern, da man bei der Bezahlung nicht mit größeren Unternehmen konkurrieren könne.

Ein Vorstandsmitglied eines globalen Automobilherstellers erzählte uns Ähnliches: „Die Personalbeschaffung beansprucht einen Großteil der Zeit unseres Managements. Es scheint im Moment einfach nicht genug passende Leute im Arbeitsmarkt zu geben“, sagte er. Interessanterweise erzählte uns derselbe Manager, dass er in ganz Europa Ähnliches höre und sehe, was darauf hindeutet, dass die Herausforderungen bei der Personalbeschaffung nicht unbedingt mit dem Brexit zusammenhängen. Dieses Problem wurde auch von mehreren anderen Herstellern, mit denen wir sprachen, angeführt.

Die Pandemie scheint sich spürbar auf die Prioritäten der Arbeitnehmer ausgewirkt zu haben, die sich in den vergangenen zwei Jahren (2020 und 2021, Anm. d. Red.) deutlich veränderten. „Wir haben festgestellt, dass viele unserer älteren Arbeitnehmer, die während der Pandemie völlig neue Arbeitsmodelle kennengelernt haben, diesen neuen Weg weitergehen möchten. Infolgedessen sind einige in den Vorruhestand getreten.

In der Zwischenzeit haben viele unserer jüngeren Mitarbeiter das Unternehmen verlassen und sind in Unternehmen gewechselt, in denen sie die Vorteile von Remote Work nutzen können. Dabei scheinen sie kein Problem damit zu haben, die Fertigungsindustrie zu verlassen“, sagte uns der Vorstandsvorsitzende eines Maschinenbauunternehmens.

Recruiting

Wie beurteilen Sie die Fähigkeit Ihres Unternehmens, Mitarbeiter einzustellen und zu halten? 
Von allen Befragten gaben …

In der gesamten Branche verändern sich die Prioritäten der Arbeitnehmer. Dies hat alle Hersteller, mit denen wir gesprochen haben, dazu veranlasst, ihre Mitarbeitervorteile neu zu bewerten und anzupassen, um für potenzielle Bewerber attraktiver zu sein. Für ein britisches Stahlbauunternehmen ist der „lokale“ Stellenpool leer gefegt, da Bewerber nach Jobs suchen, für die sie nicht ins Büro kommen müssen.

„Arbeitnehmer erwarten mehr Flexibilität und haben erkannt, dass sie überall im Land für einen Homeoffice-Job rekrutiert werden können. Das hat sich auf die Verfügbarkeit lokaler Kandidaten ausgewirkt, die zusehends abnimmt. Da wir nicht in der Lage sind, Remote Work anzubieten, mussten wir unsere Attraktivität als Arbeitgeber erhöhen, indem wir flexible Arbeitsregelungen einführten, wo immer dies möglich war“, erklärte der technische Leiter des Unternehmens.

Während einige Hersteller flexible Arbeitszeiten anbieten können, ist dies bei anderen nicht möglich. Um dennoch konkurrenzfähig zu sein, müssen diese Firmen andere Wege gehen, um Bewerber anzuziehen – dazu gehört auch das Bieten finanzieller Anreize.

„Wir haben unsere Gehälter dreimal erhöht, was zwar dazu beigetragen hat, neue Mitarbeiter anzuziehen, doch viele fordern nach wie vor Benefits, die wir einfach nicht bieten können, wie etwa die Arbeit von zu Hause aus“, sagte ein Betriebsleiter. „Wir haben auch eine Nachtschichtprämie eingeführt, um die Attraktivität unserer Nachtschichten zu erhöhen. Glücklicherweise konnten wir diese Kosten ohne Probleme an unsere Kunden weitergeben“, fügt er hinzu.


„Die Personalbeschaffung beansprucht einen Großteil der Zeit unseres Managements. Es scheint im Moment einfach nicht genug passende Leute im Arbeitsmarkt zu geben.“

Vorstandsmitglied eines globalen Automobilherstellers

Andere Unternehmen haben ihren Schwerpunkt bei der Suche nach Bewerbern verlagert, um sich Talente zu sichern. Während sie in der Vergangenheit auf Hochschulabsolventen setzten, um ihre qualifizierten Positionen zu besetzen, konzentrieren sie sich heute darauf, zunächst Personen mit der richtigen Einstellung zu rekrutieren, um sie dann entsprechend einzulernen und auf das gewünschte Qualifikationsniveau zu bringen.

Der Produktionsleiter eines großen Herstellers von Lebensmitteln und Getränken teilte uns Folgendes mit: „Wir haben unsere Einstellungsvoraussetzungen für die Einstellung neuer Mitarbeiter überarbeitet, um sicherzustellen, dass wir uns bei der Auswahl der Kandidaten nicht nur auf akademische Qualifikationen konzentrieren, sondern auch auf ihr Potenzial, ihre Einstellung und ihre sonstigen Fähigkeiten. Aktuell haben 80 % der Mitarbeiter, die an unserem Programm zur Karriereplanung teilnehmen, nach ihrem Schulabschluss nicht studiert.“

Der Chief of Digital Manufacturing bei einem global agierenden Luft- und Raumfahrtunternehmen brachte den Ernst der Lage auf den Punkt: „Wir sehen einen erheblichen Mangel an Talenten in jedem Bereich – von der Produktion bis hin zu hochtechnischen Gebieten. Folglich sind Investitionen in zukünftige Kompetenzen unabdingbar – diese stellen unsere nächste Herausforderung dar, die über jene bei der Personalbeschaffung hinausgeht. Es ist wichtig, Veränderungen in der Technologie und den Geschäftsmodellen basierend auf den Fähigkeiten der Leute zu planen.“

„Investitionen in zukünftige Kompetenzen sind unabdingbar und stellen unsere nächste Herausforderung dar, die über jene bei der Personalbeschaffung hinausgeht. Es ist wichtig, Veränderungen in der Technologie und den Geschäftsmodellen basierend auf den Fähigkeiten der Leute zu planen.“

Chief of Digital Manufacturing bei einem global agierenden Luft- und Raumfahrtunternehmen